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Prinzip Collage

Ella Bergmann-Michel und Herta Müller

19.6. – 18.9.22 | Städtische Galerie in der Reithalle

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Die Collage, auch Klebebild genannt, ist seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts eine künstlerische Ausdrucksform mit besonderem Gehalt und provokativem Potenzial. Einzelne Elemente und mediale Versatzstücke werden geklebt, montiert, in neue Bildkontexte transferiert, malerisch oder zeichnerisch ergänzt. Die Ausstellung zeigt Werke zweier Künstlerinnen,die zu unterschiedlichen Zeiten zwischen Avantgarde und Gegenwart und nach unterschiedlichen Prinzipien die Technik des Collagierens nutzen. Ihre Positionen unterscheiden sich radikal voneinander, bildende Kunst und Literatur erscheinen im experimentellen Miteinander. Die Ausstellung zielt nicht auf Vergleich und Vereinheitlichung, sondern auf einen produktiven Dialog und sinnliche Seherlebnisse, die die Konfrontation von unterschiedlichen Bildästhetiken, Techniken und Prinzipien der Collage hervorrufen können.

Ella Bergmann-Michel , 1895 in Paderborn geboren, 1971 in Vockenhausen/Taunus gestorben, führte der Weg von der Großherzoglich Sächsischen Hochschule für Kunst und Kunstgewerbe zu Weimar zum Staatlichen Bauhaus. Noch im Jahr ihrer Immatrikulation an der Kunstschule (1917) entstehen Collagen, in denen sie sich intensiv mit dem jungen Dadaismus auseinandersetzt. In einem Zeichenkurs lernt sie ihren späteren Ehemann und beruflichen Wegbegleiter Robert Michel kennen. Walter Gropius stellt Collagen des Paares zur Eröffnung des Bauhauses 1919 aus. 1920 verlässt das Künstlerpaar Weimar, der Lehrbetrieb am Bauhaus ist ihnen zu akademisch und von dogmatischen Richtungskämpfen geprägt. Sie gehen in den Taunus, wo Robert Michel eine Farbenmühle geerbt hat. Die frühen Collagen sind dichte Bildkompositionen aus Zeitungsausschnitten, Fundstücken, Papier, Holz. In Menschen mit Kopf sind selten setzt sie zwischen zerschnittenen Weltkarten kunsttheoretische Äußerungen, montiert Kalenderblätter mit Ankündigungen vom „Weltuntergang“ und „Kosmischen Anfang“,bringt spielerisch Worte, Sätze, Formen, Farben ein. In den 1920er Jahren verwendet sie Farbtafeln aus kleineren Rechtecken, die sie auf und neben geometrische schwarze Felder klebt und mit Linien, Pfeilen, Strahlenbündel verbindet. Die Kombination von Zeichnung und Collage macht ihre Werke zu Papierkonstruktionen. Mit den Fadencollagen der 1960er Jahre entstehen neuartige bildnerische Arbeiten mit linearer Intensität, konkreter Struktur, zurückhaltender plastischer Präsenz.

Herta Müller, 1953 in Nitzkydorf/Rumänien geboren, 1987 Ausreise in die Bundesrepublik Deutschland, 2009 Nobelpreis für Literatur, arrangiert auf weißem Karton in Postkartenformat zuvor aus Zeitungen, Prospekten, Magazinen ausgeschnittene Wörter und Bilder zu poetischen Konstellationen. Größe, Typografie, Farbigkeit der Wortschnipsel bestimmen die visuelle Struktur des Textes, der im Bild weder Auflösung erfährt noch illustriert wird. Vielmehr eröffnen die Collagen ein Spannungsfeld, das sich im Zwischenraum und im Zusammenspiel von Text und Bild ergibt. Die ausgestellte Werkserie Der Beamte sagte hat eine Geschichte: Ein Mensch flieht und landet in einem Auffanglager. Das ist das aktuelle Schicksal von Millionen, das war auch das Schicksal von Herta Müller, die nach ihrer Ausreise aus Rumänien eineinhalb Jahre im Auf- fanglager Nürnberg-Langwasserbleiben muss, bis sie ihren deutschen Pass erhält. Sie wird von Beamten verhört, erlebt Absurdität und Spießigkeit, die sie in fließenden Wortrhythmen und im Wechselspiel von bunt flirrenden Schriftzeichen und piktogrammartigen Bildzeichen erfasst. Dicht an dicht gehängt ergeben die Collagen einen narrativen Zusammenhang, der die absurd-bedrohliche Lagerbürokratie deutlich macht, aber auch in das Dazwischen führt und literarische Bilder von Einsamkeit, Ohnmacht, Verlorenheit und Sehnsucht entfaltet. Die Ausstellung zeigt 140 der insgesamt 157 Collagen umfassenden Werkserie.

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